178. Kernkompetenz Neugier - Teil II: Motivationstheorie

Kernkompetenz Neugier - Teil II: Motivationstheorie

Ein Informationsangebot alleine genügt nicht, um Neugier, Denk- und Lernmotivation auszulösen. Es braucht die emotionale Etikettierung der Information. Einen emotionalen Bezug zu bisherigen individuellen Erfahrungen, die Denk- und Lernmotivation anregen. Nach der auf Damásio zurückgehenden Theorie wird die emotionale Bewertung (durch die „Landkarte“ aller unserer Erfahrungen) unbewusst auf jedes Angebot etikettiert.[5] Was wir gar nicht kennen, was uns ganz und gar fremd ist, können wir meist nicht wahrnehmen. Wir filtern es also direkt heraus (vgl. „Von afrikanischen Dörfern und dem Huhn“). Ohne eine solche Bewertung könnte das Gehirn mit dem Informationsangebot nichts anfangen. Nicht das Angebot an sich löst also Neugier als Emotion aus, sondern seine Beurteilung auf Basis unserer subjektiven Erfahrungen.

Der Mensch ist in seinem eigenen Wesenskern weder sein Denken, noch sein Fühlen. Dennoch leitet er daraus üblicherweise unreflektiert alle seine subjektiven Bewertungen ab. Der Emotionstheoretiker und Psychologe Richard Lazarus hat hier zudem den Rückkopplungsprozess belegt.[6] Dass nämlich Emotionen wiederum auch von den subjektiven Bewertungen hervorgerufen werden, die Menschen den Dingen beimessen. Bedeutend ist demnach, wie Menschen ein objektiv wahrnehmbares Faktum bewerten und weniger das Faktum selbst. Weil nun unterschiedliche Menschen dieses Faktum mit ihren unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen unterschiedlich interpretieren, reagieren sie gegebenenfalls emotional unterschiedlich.


Emotionale Bewertungen, die Neugier triggern

Auch die Neugiermotivation, die häufig als Prototyp intrinsischer Motivation angesehen ist, und grundlegend für persönliche Weiterentwicklung und Wachstum ist, lässt sich auf emotionale Bewertungen zurückführen. Steinle/ Naughton zitieren eine Vielzahl Studien, denen folgende Bewertungskriterien gemein sind:

  • interessant: Neuheit und Komplexität des Informationsangebotes (vernetzt, nichttrivial)
  • verstehbar[7]: Bewältigungspotenzial bewertet die eigenen Fähigkeiten, Wissen und Ressourcen, um mit dem Informationsangebot umzugehen

Wenn Menschen ein Faktum als neu und komplex sowie verständlich bewerten, werden sie neugierig und versuchen es zu verstehen. Die meisten zitierten Experimente hätten reale Stimuli verwendet: abstrakte Kunst, klassische Bilder, Gegenwartspoesie. Sie belegen eine steigende Neugier, wenn die neuen Reize sowohl komplexer als auch verständlicher werden. So fanden Menschen ein abstraktes Gedicht interessanter, wenn sie Hinweise bekamen, die ihnen halfen, es auszulegen. Durch die Hinweise fühlen sie sich in die Lage versetzt, zu verstehen, was der Künstler ihnen sagen wollte. Die meisten, die ohne Vorbildung und Information das Gedicht bekommen, finden es uninteressant. Sie finden es vielleicht auch neu und außergewöhnlich, aber bedeutungslos und unverständlich. Es ist bei ihnen nicht anschlussfähig. Neu macht also nicht unbedingt neugierig. Etwas Komplexes als verständlich oder unverständlich einzustufen, ist der Schalter zwischen Neugier oder Verwirrung – zwei dementsprechend nah verwandte Wissensemotionen.

Neugier motiviert das Lernen von etwas Neuem und Komplexem: Neu erworbenes Wissen ermöglicht, dass weitere Dinge interessant werden. Wenn Menschen etwas verstanden haben, ist zwar zunächst nicht mehr interessant, aber das Wissen[8] versetzt Menschen in die Lage, feine Unterschiede und divergierende Perspektiven wahrzunehmen, die Neulingen verborgen bleiben. Fortan bewerten sie Neuheit sowie Komplexität anders. Was für Laien unverständlich verwirrend ist, kann Experten gerade neugierig machen. Das ist eine Art selbstverstärkender Antrieb: Es motiviert Menschen dazuzulernen, das wiederum gibt ihnen das Wissen, das sie brauchen, um neugierig zu bleiben. Ihr Fachgebiet wird reichhaltiger und komplexer, je mehr sie lernen.


Positive Erfahrungen mit Neugier stärken

In Unternehmen dagegen ist Neugier kulturell nicht selten negativ besetzt.[9] In Zeiten gefährdeter Job und in hierarchischen Organisationen gelten Sicherheit als hohes Gut und Misstrauen gegenüber Konkurrenten als gesund. In kennzahlengetriebenen Unternehmen zeigen sich beharrlich Bewahrungstendenzen vergangener Erfolge. Menschen können - statt einen neugierigen Geist zu haben - sehr gefangen sein in ihren Routinen und starke Überzeugungen davon haben, was richtig und was falsch ist. Doch wie sollen sie sich so in einer Welt bewegen, die von horizontalen Netzwerken und Zusammenarbeit geprägt sein soll? Wie sollen sie Kundentrends gegenüber wach sein und immer wieder hinterfragen, neue Gründe und Hintergründe entdecken? Neugier ist da notwendig für den so nötigen Perspektivenwechsel. Sie hilft, klassischen Selbstbestätigungstendenzen[10] zu entkommen, die das eigene Ego kennzeichnen. Wird Neugier über Erfahrungen positiv belegt, dann sind die Weichen für persönliche und unternehmerische Wachstumsprozesse gestellt.

 


 

[5] Vgl. Damásio, António R. (2000): Ich fühle, also bin ich – Die Entschlüsselung des Bewusstseins, List, München. Damásio stellt die Theorie auf, dass alle Erfahrungen des Menschen in einem emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert werden. Dieses Erfahrungsgedächtnis teilt sich laut Damásio über ein körperliches Signalsystem mit, das dem Menschen bei der Entscheidungsfindung hilft und das Damasio als somatische Marker beschreibt. Bei der Vorstellung verschiedener Handlungsalternativen geben die somatischen Marker eine durch bisherige Erfahrungen bestimmte Rückmeldung, die dem im Entscheidungsprozess befindlichen Menschen helfen, alle emotional nicht tragbaren Handlungsmöglichkeiten ausschließen. Damásio trennt entsprechend dem Emotionstheoretiker William James zwischen basale Emotionen („emotions“), die er als die durch somatische Marker verursachten Körperzustände beschreibt, und Empfindungen („feelings“), die das bewusste Wahrnehmen des beobachtbaren körperlichen Verhaltens darstellen. So lernt der Mensch über Körperzustände bewusstes Empfinden.

[6] Vgl. Richard S. Lazarus (1991): Emotion and Adaptation. Oxford University Press, New York NY u. a.; Richard S. Lazarus (1999): Stress and Emotion. A new Synthesis. Free Association Books, London (Nachdruck). Das Transaktionale Stressmodell von Lazarus wurde bereits 1974. Lazarus unterscheidet drei Coping-/ Stressbewältigungsstrategien: problem-, emotions- und bewertungsorientierte.

[7] "Kohärenz = Verstehbarkeit x Bewältigbarkeit x Sinnhaftigkeit.“ Vgl. Newsletter Jan/ Feb 2015.

[8] "Stärke = Talent + Wissen + Routine“. Vgl. Stefan Ruhl (6/2015): Stärkenorientiert führen und Klartext reden, Ruhl Consulting Blog Nr. 172.

[9] Unternehmenskultur beinhaltet auch Gesellschaftskultur. Generationen von Deutschen dürfte etwa Paulinchens Neugier im Struwwelpeter, Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug, ist mit ihrem tragischen Ende ein abschreckendes Beispiel gewesen sein. Dieses Werk aus ursprünglich 1845 gilt als eines der erfolgreichsten deutschen Kinderbücher und zeugt von kulturprägenden Glaubenssätzen autoritärer Kindererziehung in den vorigen Jahrhunderten.

[10]  Menschen fokussieren ihre Wahrnehmung auf das, was sie erwarten. In der Forschung ist das Phänomen als „Bestätigungs-Bias“ bekannt. Menschen neigen dazu, ihre Gedanken, eine Regel oder einen Sachverhalt zu belegen und viel weniger, sie zu widerlegen. Sie ignorieren Gegenbeweise und halten an Hypothesen fest, selbst wenn sie falsch sind. Das macht deutlich, warum Abteilungen ohne Spiegelungskorrektiv von außen so anfällig sind für das berüchtigte Not-invented-here-Syndrom.

 

Lesen Sie Impulse zum Führen und Management im Krankenhaus weiter im neuen News Blog der Ruhl Consulting: Neugier und Ehrgeiz kominiert erzeugen Wissensdrang. Dies regt biochemisch intrinsiche Motivation und regt so Innovation und Kreativität an.

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