024. Die Visite als Spiegel der Unternehmenskultur
Die Visite als Spiegel der Unternehmenskultur
Die tägliche Visite gehört zu den wichtigsten Ritualen in einem Krankenhaus. Es ist gut, sich klar zu machen, was Rituale sind und was sie bewirken. Faktisch zelebriert das klassische Visitenritual v.a. eine Situation des Arztes als „Gott in Weiß. Damit zementiert es die Denke der „alten Welt“, des Denkens und Abgrenzens in Fachabteilungshierarchien (vgl. Degenhardt, J. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 98, Heft 47). Das Tun wird explizit der eigenen Abteilung zugeordnet. Das Ritual hat eine enorme Macht, Beharren eines Systems in Zeiten des Wandels zu bewirken. Und es demonstriert diese Macht Tag für Tag. Es geht in der Visite nicht um eine wissenschaftliche Diskussion, sondern es wird eine einseitige Prüfungssituation vorgeführt, die Korrekturen am Stationsmitarbeiter öffentlich macht und damit in Bezug auf seinen Status enorme Sanktionswirkung hat. Mitarbeiter werden über Angst geführt. Die Motivation, die Mitarbeiter treibt, ist das Vermeiden von Sanktion und damit ein Aufstieg in der Gunst. Der Stationsarzt steht v.a. unter Rechtfertigungsdruck, Behandlung, Ergebnis, Therapien, Erfolge und sich selbst korrekt und positiv darzustellen. Vor dem Patienten ist eine chefärztliche Korrektur ein negatives Urteil über die eigene Expertise, der weitere Kontakt zum Patienten wird belastet. Der Gedanke an die Stellung in der Hierarchie, die Zukunftsperspektiven im Krankenhaus sowie das für seine weitere Karriere entscheidende Arbeitszeugnis sind Aspekte, die den Arzt von einem Fachdialog abhalten. Der Chefarzt erfüllt eine ritualisierte Leitungsrolle. So werden in der Visite Standards wie z.B. die Abfrage der Blutwerte abgehakt - eine offene Diskussion hat keinen Platz. Der Einzelne empfindet sich selbst nur als untergeordneter Teil eines Behandlungsteams. Die Mitarbeiter fühlen sich in Geste des Chefarztes aufgewertet und nehmen – befreit von Schuld – ein Gefühl der eigenen Bestätigung und Erhöhung im Gefüge aus der Visite mit.
Wenn Mario Adorf mit seiner 80-jährigen Lebenserfahrung Macht als Schwester der Gewalt dann verweist er hierbei auf ein Defizit im Gegenwert (im Sinne des Wertequadrats von Schultz von Thun), wie einer Ohnmacht gegenüber dem Zulassen menschlicher Nähe in klassischen hierarchischen Systemen. Wenn ein fundamentaler Veränderungsprozess in der Unternehmenskultur auf Station angestoßen werden soll, gilt es, genau die Rituale aufzubrechen, die das abzulösende Wertesystem stabilisieren. Dabei ist zu bedenken, dass beim Wegfall des Rituals ein Vakuum entsteht, das verunsichert, solange es nicht mit neuen Werten gefüllt ist. Was also ist die Anforderung an eine Visite in der „neuen Welt“ im Krankenhaus, in der Behandlungsabläufe interdisziplinär und interprofessionell den Patienten im Mittelpunkt der Behandlung setzen?
Zuerst – und das ist der radikale Paradigmenwechsel - wird aus einer ritualen Handlung ein ergebnisorientierter Prozess. Die Visite dient der Organisation und Information aller Beteiligten inklusive des Patienten auf gleicher Augenhöhe. Der Patient wartet auf eine klare Diagnose, erhofft sich dadurch Beruhigung in Bezug auf seinen Gesundheitszustand und Sicherheit. Die Organisationsvisite zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf das Behandlungsteam reduziert ist und damit für den Patienten überschaubar bleibt. In ihr werden v.a. die weiteren administrativen Schritte in der ärztlichen und therapeutischen Behandlung abstimmt. Die Visite ist kurz und konzentriert. Sie ist in allen Phasen auf den Patienten bezogen, der im direkten Kontakt zum Chefarzt seine Sorgen äußern kann und sich einer kurzen persönlichen Zuwendung sicher ist. Fachjargon wird vermieden. Die fachliche Diskussion unterbleibt im Patientenzimmer, der atmosphärischen Gestaltung der Visite kommt Bedeutung zu. Dem Aspekt der objektiven Qualitätssicherung durch Diskussion der Behandlungsverläufe kann im unmittelbaren Anschluss an die Visite im geschützten Rahmen entsprochen werden. Hier kann der Chefarzt seine Erfahrung erläutern, modifizierende Anordnungen ohne kränkende Bloßstellung ansprechen und den Fortbildungsstand seiner nachgeordneten Ärzte überprüfen. Vertreter anderer Berufsgruppen können mit ihrem Know-how die weitere Therapie beeinflussen. Es kommt ein Gespräch in Gang, das feinfühliger, menschlicher, weniger hierarchisierend und sachorientierter gelingen kann. Dem Patienten und den Mitarbeitern wird Wertschätzung entgegengebracht, Ängste des Patienten werden offen angesprochen. Die herausgehobene Position des Chefarztes bleibt auch in dieser partnerschaftlichen Umgangsweise gewahrt. Die Visite wird als das genutzt, was ihr Name ausdrückt: als Besuch beim Patienten im Sinne eines Angebots intensiver menschlicher Begegnung.
Wenn Sie sich weiter mit der systematischen Prozessorganisation auf Station auseinander setzen wollen, dann könnte unser Seminarangebot zum Stationsmanagement für Sie interessant sein.
Lesen Sie Impulse zum Führen und Management im Krankenhaus weiter im neuen News Blog der Ruhl Consulting: Die täglich Visite ist Regelkommunikation und Dreh- und Angelpunkt der Prozessorganisation auf Station. Die Chefarztvisite ist ein Spiegel der Unternehmenskultur.
20.12.2010 – 15:40 Uhr
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